Eine Suche in drei Akten
Oder wie ich schließlich meine Berufung fand
Heute kommt ein eher persönlicher Artikel über die Suche nach dem richtigen Beruf am Beispiel meiner eigenen Geschichte. Vielleicht erkennt sich der ein oder andere an manchen Stellen wieder.
Usability & UX Consulting stand nicht seit meiner Geburt fest und es hat fast zwei Dekaden gebraucht, bis ich ein Berufsfeld gefunden habe, das passender nicht sein könnte. Die Geschichte möchte ich nun in drei Teilen erzählen. So, als wäre schon alles vorbestimmt und hätte mich früher oder später sowieso gefunden. Nach langer Suche waren wohl schließlich intensive Arbeit und Reflexion, sowie günstige Umstände entscheidend. Doch zunächst von Anfang an:
Akt I: Kindheit – Wenn ich mal groß bin
Wenn ich mal groß bin, möchte ich Erfinder werden! Das ist das Früheste, an das ich mich erinnern kann und der Anfang einer langen Suche.
Schon als Kind teilte sich mein Interesse in hauptsächlich zwei Themenfelder auf.
Da war die Wissenschaft, der ich in Form von Buch- und Zeitschriftenlektüre, Kinder-Kursen an Uni/VHS oder mit Versuchen im eigenen Chemie-Labor auf dem Dachboden bzw. in Feldversuchen mit dem Teleskop nachging.
Außerdem konnte ich meine künstlerische Seite – letzteres wohl geprägt durch meine Mutter, beides gefördert durch meine Eltern – entwickeln, indem ich zu wöchentlichen Zeichenkursen ging oder mir schon als Kleinkind alles aus Pappkarton baute (etwa einen neuen Laptop). Später kamen Experimente mit Bild und Ton dazu, sowie meine Leidenschaft zur Musik – sowohl passiv (vieles und oft), als auch aktiv (Querflöte, E-Bass, Gitarre und später (Chor/Solo-)Gesang).
Die beiden Felder ziehen sich bis heute – mal mehr, mal weniger und in verschiedener Ausführung – durch mein Leben und haben es schließlich auch in meine Berufswahl geschafft.
Akt II: Suche – Jetzt hab ich’s …
Ich hätte einfach Erfinder werden können und nebenbei ein paar Bilder gemalt, doch so läuft es im Leben nicht. Mit meiner Entwicklung und immer neuen Eindrücken, wie auch Enttäuschungen (vgl. Schulsystem) kamen Neuausrichtungen über Neuausrichtungen.
In der Kindheit vom Erfinder zum Astronom, in der Pupertät vom Sprengstoffexperten über GSG-9-Einsatzkraft zum Spielentwickler. Später zum Musikproduzent bzw. professionellen Musiker. Zwischendurch psychologischer Forschungsleiter, später Kameramann bzw. Drehbuchautor. Dann Architekt (schon ziemlich nah dran als Verbindung aus Wissenschaft und Kunst – nur Häuser sind irgendwie nicht meine Leidenschaft) oder Grafikdesigner, Ingenieur oder Produktmanager. Nach der Schule (in der potilitischen Phase) Soziologe in einem ThinkTank (Lösungssuche für Weltprobleme), etwa zeitgleich mit der Bewerbung bei Weltwärts kam ich dann auf Erneuerbare Energien – kurz abgelöst von Architektur, dann wieder EE.
Da ich jetzt endlich mal etwas haben müsse, legte ich mich also fest, bevor es für ein Jahr in die Dom Rep ging. Mit Energie- und Umwelttechnik an der TU Hamburg-Harburg wurde es dann schon ziemlich konkret und in den letzten Wochen vor Abflug legte ich mir noch ein Vollzeitpflichtpraktikum bei einer Maschinenbaufirma (akribisch dokumentiert) auf, während ich ein Jahr in Abwesenheit vorbereitete, versäumte Mathekenntnisse nachholte, meine Familie besuchte und noch die gesamte Spendensumme von 2.400 € zu organisieren hatte. Irgendwie war das Abi schon ein Witz, dachte ich mir zu der Zeit.
Mit einem Schlag hatte das bis dato größte Stressaufkommen ein Ende, als ich plötzlich im Flugzeug saß. Auf einmal hatten ein Jahr lang ganz andere Dinge Priorität, wie ich wohl erst im Flugzeug begriff – was hatte ich die letzten Wochen nur gemacht?
Die nächsten paar Monate hätten sich nicht mehr von den Wochen vor Abflug unterscheiden können und ich machte mir erst erstmal keine Gedanken mehr um das Berufliche (die mitgenommene Fachliteratur habe ich mir auch kaum mehr angeschaut).
Immerhin hatte ich mich gerade in einem neuen Land zurechtzufinden und das Beste aus meiner Zeit hier zu machen. Eine solche Distanz zu allem hatte ich wohl mehr als Nötig.
Akt III: Am Ende des Regenbogens – Wer richtig suchet
Nach ein paar Monaten – als ich mich in etwa eingelebt hatte und das anfängliche Arbeitsaufkommen zur Neige ging –, fiel mir wieder ein, was mich noch vor Kurzem komplett verschlungen hatte. »Wo war meine anfängliche Motivation hin und woher kam sie damals eigentlich?« musste ich mich fragen. Ich hatte die Zulassungsbescheinigung (überraschenderweise – vgl. Abischnitt) schon in der Tasche und mir fehlten von den 10 Wochen auch nur noch ein Monat an (Vor-)Praktikumszeit (auf Nachfrage hieß es, in den Semesterferien sei w.g. Prüfungen keine Zeit dafür…). Inzwischen kam mir das Ganze irgendwie befremdlich vor – und dabei war ich mir doch so sicher.
Erster Teil
Trotz all der vergangenen Mühen und positiven Reaktionen auf meine ambitionierten Pläne –__»Gute Wahl! Deutschland braucht Ingenieure!« – ließ ich also los, um mich erneut auf die Suche zu machen. Diesmal jedoch bewusst. Der mir sonst üblichen Tendenz, sich von einer Idee mitreißen zu lassen und diese ohne viel Abwägung mit allen Ressourcen zu verfolgen ging ich diesmal – so gut es ging – nicht nach und stellte zunächst einmal Fragen:
Was kann ich eigentlich wirklich gut mit verhältnismäßig geringem Aufwand?
Womit beschäftige ich mich größtenteils (aktiv) in meiner Freizeit?
Was kann ich den ganzen Tag machen, ohne zu merken, dass ich arbeite?
Die Antwort darauf war so offensichtlich, wie schwer. Schnell kam ich jedoch auf den IT-Sektor und vor allem den praktischen Teil. In Erinnerung an ein kürzlich gesehenes Video fiel mir etwas entscheidendes auf:
Seit ich mit Computern arbeite, schraube ich an der Arbeitsoberfläche rum. Angefangen mit einfachen Themes und Fensterschatten bei Windows XP oder einem Dock bei Windows 7 eröffnete sich mit Linux eine neue Welt für mich. Auf einmal konnte man alles – wirklich alles – anpassen. Und es war meistens auch nötig, da es bei OpenSource-Produkten klassischerweise an der intuitiven Bedienung hapert.
Ich bin wohl sicherlich nicht der Einzige, der sich über die »nicht gleich erschließbare« Oberfläche von Open Office, GIMP oder beliebigen Webseiten aufregt, jedoch endet es für mich nicht mit einem hasserfüllten Anruf beim Support oder der frustrierten Resignation und Beugung vor dem Interface.
Stattdessen setze ich mir in den Kopf, es besser zu können und nicht aufzugeben, bis ich in Ruhe die Aufgabe erledigen kann, zu der ich eigentlich das Programm geöffnet hatte – ähnlich ist es mit Fehlermeldungen, die mir keine Ruhe lassen, bis die Ursache behoben ist.
Wenn ich es nicht auf Anhieb selbst herausfinde, folgt nun eine intensive Recherche zu den verschiedenen Modifikations- bzw. Lösungsmöglichkeiten. Natürlich lässt sich nicht alles einstellen und gerade bei fremden Webseiten ist dann wohl schnell die Grenze erreicht, dafür möchte ich aus den Fehlern anderer Lernen und es nach eigenem Anspruch besser machen (vgl. impacto-cutlural, dieser Blog).
Wie schon großteilig vorweg genommen, bin ich durch meine Überlegungen und ein paar günstige Zufälle und Entwicklungen auf das Feld User Experience Design gestoßen, was im Grunde nicht viel anders ist, als das eben Genannte – nur eben mit System, wissenschaftlicher Grundlage und Bezahlung.
In der nächsten Zeit habe ich mich dann weiter in das Feld eingearbeitet, um zu begreifen, dass es _den User Experience Designer _gar nicht gibt, sondern eine Vielzahl von Disziplinen und Tätigkeiten unter das Feld fallen – unmöglich von einer Person allein zu erledigen – auch, wenn diese Erkenntnis hart für mich war. Am umfassendsten wäre der Beruf des _User Experience Managers _gewesen. Die Frage, ob meine Stärken in dieser Position und dem entsprechenden Arbeitsalltag am besten zur Geltung kommen, hat mich schließlich zu der Erkenntnis geführt, dass vielleicht andere besser geeignet dafür wären. Also ging es weiter auf die Suche – das Feld stand diesmal fest.
Zweiter Teil Nach einer Phase der Selbstreflexion, Persönlichkeitsentwicklung und intensiven Beschäftigung mit den möglichen Arbeitsbereichen kam ich die Einleitung aus »Don’t make me thing!«, dem Standardwerk der Branche, irgendwie in den Kopf, welche ich beim ersten Lesen eher überflogen hatte (Ich wollte UX-Designer werden und was kann mir schon die Einleitung bringen?):
I have a great job. I’m a usability consultant. Here’s what I do:
People (“clients”) send me something they’re working on.
It could be designs for a new Web site they’re building, or the URL of a site that they’re redesigning, or a prototype of an app.
I try using what they send me, doing the things that their users would need or want to do with it. I note the places where people are likely to get stuck and the things that I think will confuse them (an “expert usability review”). […]
I have a meeting with the client’s team to describe the problems I found that are likely to cause users grief (“usability issues”) and help them decide wich ones are most important to fix and how best to fix them. […]
They pay me.
Being a consultant, I get to work on interesting projects with a lot of nice, smart people. I get to work at home most of the time and I don’t have to sit in mind-numbing meetings every day or deal with office politics. I get to say what I think, and people usually appreciate it. And I get paid well.
On top of that, I get a lot of job satisfaction, because when they’re finished, the things they’re building are almost always much better then when we started.
»Und dafür kann man bezahlt werden?«
Mit jedem Lesen wird mir klarer, dass ich mir keinen besseren Beruf vorstellen kann. Ich will die selben Dinge von mir sagen können.
Nun schließt sich langsam der Kreis und ich habe die Verbindung aus Wissenschaft und Kunst in meinem in dem Berufsfeld vereint. Mit dem Zusatz der User Experience werden neben der messbaren Usability die ästhetischen Aspekte auch abgedeckt und die Arbeit wird sicher nie langweilig. Außerdem kann ich gut Muster erkennen, zuhören, mich in andere Hineinversetzen und habe einen gefährlichen Hang zum Detail – Usability & UX Consulting passt wohl besser auf meine Persönlichkeit, als UX Management. Trotz konstanter Reflexion steht die Ansicht immer noch und wird weiter bestätigt – beste Voraussetzungen.
Neben dem Eigenstudium versuche ich auch ein paar Praxiserfahrungen während meines Jahres in der Karibik zu sammeln. Es trifft sich ganz gut, dass ich für Website, Facebook und PR von FECADESJ zuständig bin und die fortlaufende Optimierung FECADESJ-Homepage, sowie deren enge Verknüpfung mit Facebook wird mein Hauptziel für dieses Jahr.
Ich durfte dabei auch schon die Erfahrung machen, wie die Ambitionen, ein bei seinen »Nutzern« offensichtlich mehr als unbeliebtes Intranet zu verbessern und vor dem Ende zu bewahren aufgrund von Hierarchie und Verblendung schon im Keim erstickt wurden, habe jedoch auch auch daraus viel für die Zukunft gelernt.
Aber auch die Sachen, die ich in zu den unzähligen vorangegangenen Berufsfeldern gelernt habe, möchte ich nicht missen und ohne die gesammelten Erfahrungen wäre ich heute nicht an da, wo ich jetzt bin. Zudem habe ich etwa bei dem Praktikum viel Handwerkliches gelernt (Flexen, Metall bohren, Schleifen, Löten, …), das ich wohl nicht zum letzten Mal brauchen werde.
Alle Leser dieses Blogs können gespannt bleiben, wie mir der Einstieg in das Feld gelingt, während ich mein neues Wissen mit der Welt teile.
Vielleicht kann dieser Artikel auch andere inspirieren, die auf der Suche nach dem richtigen Beruf sind.
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